Musikalische Wettstreite

Stefan Niggemeier schreibt über den Grand-Prix-Vorentscheid und die Enttäuschung, die Monrose, aktuelle “Popstars”, dabei erleben mussten.

Natürlich haben diese Mädchen, wie sie dann heulend auf der Bühne standen, Mitleid verdient und keine Häme. Aber vielleicht tun sich all die, die auf Detlef D. Soost und Dieter Bohlen und ihre Versprechungen hereingefallen sind, irgendwann zusammen, und brüllen ihnen ins Gesicht, dass es in dieser Welt eben nicht reicht, ganz fest an sich zu glauben, nicht einmal, wenn man dazu noch ganz hart an sich arbeitet.

Schlimm genug, dieses Verheizen junger Talente in den großen TV-Shows wie DSDS und Popstars mit den dahinter stehenden Versprechungen. Aber warum in die Ferne schweifen? “On the ground”, also da, wo sich Bands und junge Musiker noch ohne TV-Werbetrommel durchzusetzen versuchen, gibt es genug Erschreckendes zu beobachten. Die Wettstreit-Kultur hat sich dort längst manifestiert. Die Grundannahme ist ja immer diesselbe: Der Kampf darum, die “beste Band” zu sein mobilisiert die jeweiligen Anhänger, Freunde und Freundinnen, die dann den Veranstaltungsort bevölkern. Doch die Bands erkaufen sich dies, bzw. müssen sich dies erkaufen.
Nehmen wir ein Beispiel, den GBOB, die Global Battle of the Bands. Das Versprechen lautet: Geile Gigs deutschland- und europaweit, Publikum en masse, und für den Gewinner sogar 100.000$ und eine Welttournee – Zwischengewinner erhalten auch mal ein paar Studiotage. Und wie schaut es wirklich aus bei dieser Veranstaltung, für die aus einem mir nicht ersichtlichen Grund sogar Campino von den Hosen ein Testimonial abgibt? Die Bands müssen weder Demo-Tape nocht sonstiges Material einschicken. Dafür aber hartes Geld, welches die Teilnahme dann garantiert. Wer zuerst bezahlt, spielt. Ein Schnäppchen ist das nicht gerade: Fällig werden 22€ pro Musiker, bei einer Gruppe bestehend aus Drummer, Gitarre, Bass und SängerIn macht das also z.B. 88€. Was bekommt man erstmal dafür: Nur die Garantie, auf einem der ersten regionalen Wettbewerbe teilzunehmen und 2 (!) – in Worten: zwei – Songs zum besten geben zu dürfen. Mehr als 2 sind auch nicht drin, denn GBOB überbucht die Veranstaltungen vollkommen: Mindestens ein Dutzend Bands teilen sich den Abend (14 u.a. vergangenes Jahr in Heidelberg). Also bezahlt man bei der Beispielband 88€ bzw. 44€/Song oder bei einer Tittellänge von 4 Minuten eben 11€ pro Minute. Stattlich. 11€ pro Minute um vor einem Publikum zu spielen, das zu seinem Großteil aus den Musikern der anderen 11 Teilnehmer besteht. Rentabel für die GBOB-Macher. Bei 31 bisher geplanten Events in Deutschland macht das 31x12x88=32.736€ an Einnahmen alleine von den Musikern. Bessere Mathematiker als ich dürfen sich die Chancen der Bands ausrechnen, auch nur einen der Zwischenpreise einzuheimsen. Wenn Herr Kovacs im Interview also behauptet, das Besondere an GBOB sei die Tatsache, “dass es den Bands auch wirklich etwas bringt”, so halte ich das für eine Lüge. Er sagt dies, um dem Konkurrenz-Event “Emergenza” eben genau das abzusprechen. Ich halte beide für unterste Liga, nur dass das Emergenza mittlerweile ein wesentlich besseres Standing (mehr PR, Werbung, Berichterstattung) vorzuweisen hat und damit den Bands ggfs. hier und da auf lokaler Ebene wenigstens ein bißchen “bringt”.
Ich habe selbst bereits Erfahrung mit Wettbewerben als Musiker. Mit Seahog Linus hatten wir Mitte der 90er an einer von Coca-Cola initiierten und gesponsorten Bandcompetition teilgenommen und mit Feromon am Mannheim Music Award 2002 – letzterer liegt derzeit auf Eis, unklar ist momentan, ob Mannheims neuer Musikbeauftragter ihn wiederbeleben wird. Wie auch immer, die Lehre daraus sagt: Ein Wettbewerb bringt nicht mehr als regelmäßige normale Gigs. Und bei letzteren können kleine Bands sogar Geld verdienen, statt bis zu nach dem Motto pay-to-play für 2 Live-Songs bezahlen zu müssen. 3 andere gute Bands ins Boot holen, gemeinsame Werbung und Fans mobilisieren, Location & PA mieten, Getränke auf Komission anschleppen, wechselnde Musiker-Besetzung an Kasse und Theke … das kann funktionieren, erfordert aber erhebliche Eigeninitiative. Ich halte es dennoch für jeden Versuch wert. Und gute Bands, die Publikum ziehen, kommen auch in kleinen Clubs unter, hin und wieder gibt es Chancen auf interessante Support-Gigs. Mal leichter, mal schwieriger, aber es ist möglich. Und, surprise: Bei einem normalen Gig kann man das Publikum mit seinem gesamten eineinhalb-Stunden-Programm überzeugen, statt 2 Songs zu präsentieren für die zuvor aus Zeitgründen (14 Bands!) nichtmal ein vernünftiger Soundcheck gemacht werden kann. Dass bei 14 Bands an einem Abend in Frage steht, überhaupt über das eigene Equipment zu spielen, habe ich erwähnt, oder? usw. usw.

  • mikel 11. März 2007 at 6:50 pm

    Was noch fehlt für “normale” Gigs ist publizistische Unterstützung. Im Vorfeld und vor allem in der Nachbetrachtung. Quasi Konzertkritiken.
    Manchmal mache so etwas und bin bass überrascht, wie froh die Musiker darüber sind einerseits, andererseits gibt es so gut wie kein direktes Feedback in den Blogs.
    Eigentlich würde da eine eigene “Blogkultur” helfen.
    Das gilt übrigens nicht nur für Pop-Rock-Jazz. Es gilt für alles, jenseits von Nationaltheater und SAP-Arena. Vom Kirchenchor über Männergesangvereine, Fanfarenzüge, Lyrik-Lesungen und was weiß ich, die nie einen Satz in der Zeitung über sich finden, zumindest in den großen Städten.

    Szene-Blogs, auch für “nur” Musikaffine. Keine “Groupie-Szene”, sondern einfach Leute die über Konzerte bloggen, die sie gerne besuchen würden oder dort waren.

    Keine Ahnung, wer so etwas in die Hand nehmen müsste.
    Aber mir fehlt sowas schon lange, aber bitte kein solches Hype Web 2.0 Geldverdien-Gehechele….keine Myspace-Freunde, irgendetwas anderes.

  • Markus 11. März 2007 at 11:37 pm

    Ich, sobald ich mal dazu komme (indiepoprock.de). Zumindest so ungefähr 😉 Und regioactive.de z.B. bringt ebenfalls viele Berichte über “kleine” Events.

  • Die Welt ist Scheisse - Aber ohne Geruch » Blog Archiv » Wohin geht die Musikkultur? 12. März 2007 at 2:30 pm

    […] Da ich das Thema bewusst im Kopf ruhen lies konnte es erst mal ?ber l?ngere Zeit wirken. Heute ?berflog ich das Blognet und fand gleich zwei gute Artikel auch zu diesem Thema. […]

  • sven - sagichdoch? » Musikwettbewerbe 12. März 2007 at 4:12 pm

    […] Eine Möglichkeit, “Publikum zu finden” war für meine alte Band vor 20 Jahren die Teilnahme an “Bandwettbewerben” und ähnlichem, das hat auch wirklich funktioniert. Wenn ich aber mitbekomme, wozu solche Wettbewerbe heutzutage verkommen sind bekomme ich das kalte Grausen. Da sollen die Bands inzwischen sogar dafür bezahlen, dass sie einem Veranstalter die Möglichkeit liefern, Eintrittsgelder kassieren zu dürfen??? Das ist schon nicht mehr AAL-Prinzip*, das ist schon pervers, da fehlen mir schon echt die Worte für (und das soll ja mal was heißen!) […]